Heiliger Hain
Die Altäre der Wildnis
„Wir schaffen in den Heiligen Hainen von Oshogbo Schreine und monumentale Skulpturen, die ebenfalls, da sie Götter beherbergen, Schreine sind. Sie sind wie die sakrale Kunst, ERE, und Yoruba-Priester, physikalische Körpergefäße der Götter. Sie sind Refugien der heutzutage oft durch den Fortschritt, der sie aus der einst natürlichen Einbezogenheit drängt, heimatlosen Orisha.“
„Orisha“ sind, nach der Auslegung von Susanne Wenger „exzessiv individualisierte, sakral zielgerichtete Potenziale von elementar spirituell befruchtenden Kräften. Götter, die wir aus innerer Schau der Sinne kennen und denen wir begegnen (der englische Poet William Blake singt: one must know god with the senses), aus dem Gebot des Logos (nicht der Logik), dass alles was lebt, in eine unentrinnbare Dimension von Zeit eingeschrieben ist. Die individuelle Lebensdynamik bemisst sich nach der eigenen historischen und mythischen Evolution. Die Götter leben. Auch sie sind den Dimensionen der Zeit unterworfen, dem Formgefühl der Ära des Erkennenden entsprechend.
Die spirituellen Räume des inspirierten Bewusstseins sind geprägt durch Modernität – heilige und profane. Da das Sein der Götter „Elementar-Wahrheit-Form-Individuation“ und als solche intensives Leben manifestiert, repräsentieren sie die Wirklichkeit an sich. Jedes wirkliche – echte – Kunstwerk ist eine Pilgerfahrt zu einem Altar in der Wildnis der multidimensionalen Urgründe in den Tiefen der Psyche, wobei der Künstler und sein Werk Hand in Hand gehen – beide brauchen diese gegenseitige Führung. Das Werk erschafft sich selbst, wenn der Nährboden, die innere Wahrnehmungsfähigkeit seines Autors, fruchtbar ist. Kunst ist Ritual.“
„Schöpferisches Denken und Kunst sind nicht messbar, sind sie doch Zeugnisse der Wahrheit und diese Wahrheit, die eine Wahrheit, hat viele Gesichter. Alle Religionen sind letztendlich doch die ‚Religion der Menschheit‘. Über den Toren einiger Tempel in Tibet steht der Spruch: 1000 Mönche = 1000 Religionen.
In unseren Heiligen Hainen gibt es eine eminent heilige Spezies von Waldbäumen. Sie heißen Agbaayin und repräsentieren Ori, das heißt Logos, den sakralen Geist der Schriften – des Wortes. Ihre Blätter sind außerordentlich klein. Wenn diese priesterlichen Bäume einmal jährlich ihr Blätterkleid abwerfen, um einem neuen Platz zu machen, schweben die winzigen Blätter wie Wolken, der leichtesten Brise folgend, zum Waldboden, empfindsam, sensitiv wie ‚Ori’. In Tibet sind Wolken eine Repräsentation Gottes. Ein Yoruba-Sprichwort sagt: kleine Kinder können die Blätter des Agbaayinbaumes nicht zählen, ebenso können auch die weisen alten Leute die Blätter des Agbaayinbaumes nicht zählen. Wer kann schon die Gesichter der Wahrheit zählen?
Meine Projekte sind vielleicht solche winzigen Blätter am Baum des Lebens – dem Logos geweiht –, der das sakrale Zentrum des Universums und die Quelle alles Lebens ist. Auf der ganzen Erde und an den fernsten Horizonten des menschlichen Genius gibt es diese Altäre der Wildnis, der heiligen Ursprünge, Altäre des perfekten Klanges – die großen Komponisten – bekannt oder anonym. Die Urkraft ihrer Schöpfungen klingt, in Emanation spiritueller Fruchtbarkeit, durch die Ewigkeit. Sie drängen sich uns nicht auf, sie geben sich uns als großzügiges Geschenk. Und da gibt es Leute, Männer und Frauen, von unübertrefflicher spiritueller und physischer Schönheit. Sie sind alt. Sie lehren uns nicht, sie wollen uns nicht verändern. Sie wollen ihren herrlichen Reichtum nicht nach unserer Form maßschneidern. Sie werden ihr phänomenales Wissen mit in ihre Gräber nehmen, in ein Tiefen-Reservoir, von wo aus sie wieder den Genius unseres Bewusstseins mit diesem Wissen erfüllen. Der Logos ist wie Phönix, er steigt aus seiner eigenen Asche hervor.“