Die Malerin
Nach einer längeren Pause begann Susanne Wenger in der Mitte der Sechziger-Jahre wieder Ölbilder zu malen. Die thematische Spannbreite ihrer auf Sperrholzbretter von Teekisten gemalten und pastos gespachtelten Bilder ist ungeheuer weit, lässt aber mehr als ihr anderes Oeuvre die Tradition der europäischen Moderne erkennen. Sie verarbeitet Themen aus der Menschheitsgeschichte, der Bibel, der Weltliteratur und aus dem Yoruba-Kulturkreis.
Die Zielsetzung ihrer dezidiert meditativen Arbeitsweise ist - sollte dies überhaupt möglich sein - in einem Selbstklärungsprozess noch tiefer in die Dimensionen der mythischen Erzählungen vom transzendenten Menschsein vorzudringen - beyond time - wie sie selbst diese Ebene der Bewusstheit nennt. Nach den großen Ausstellungen in Europa ab Mitte der achtziger Jahre hat sich Susanne Wenger noch mehr der Malerei zugewandt und dabei Arbeiten geschaffen, bei denen sich ihre Philosophie und Weisheit in essenzieller Weise hochkonzentriert auf dem im Vergleich zur Batik und den Monumentalskulpturen sehr kleinen Bildraum zusammendrängt. Die komplexe Symbolsprache der Ölbilder weist zunehmend auf frühkindliche Eindrücke hin, Eindrücke die sich durch den schicksalhaften Lebensweg zu weittragenden Einsichten verfestigt haben und formal alle ihre künstlerischen Erfahrungen zusammenfassen. Der Bogen spannt sich in einer entspannt gedehnten Kurve vom postnatalen Schauen des Kindes zu einem metaphysischen Blick in das "Bardo" (tibet.), den Zustand des absoluten Dazwischenseins ewigen Lebens und Sterbens, der Gleichzeitigkeit von Leben und Tod als Vorraum der Wiedergeburt. Womit sich der Kreis fast schließt, aber die offenen Enden einander berühren.
Der Zyklus "Ikonen der großen Traurigkeit" ist ein Meisterwerk, bei dem die Synthese zwischen der informellen Spontanität des aus dem "Unterbewussten" hervorbrechenden Schaffensprozesses und den narrativen Botschaften in eben dieser metapsychischen Balance steht. Es ist wie der "Stillstand der Schaukel auf dem dynamischen Kipp-Punkt", der vielleicht mit dem "Anhalten der Welt" (Carlos Castaneda "Reise nach Ixtlan") identisch ist. Gleiches trifft auch auf die neuen größeren Gemälde zu, wie zum Beispiel: "Das Yoruba Bardo", "Nicht sinnlos, doch vergebens", "Milarepa", "Die letzte Ernte" und "Denn tief in dir bist du oh Mensch der Gott als Baum, als Stein, als Tier".
Auf die Frage des Autors: "Könnte man sagen, dass deine Arbeit der letzten Jahre wie eine große Fuge aus allem was in dir ist zusammenklingt - ein großes Manifest - und hieße das, dass du die einzelnen Mythen nimmst, zusammenfügst, um dich von dort weg zu katapultieren, zu eben der Wahrheit mit den vielen Gesichtern die du dann in Rhythmen transformierst?"
Susanne Wenger: "Das ist deine Interpretation, bei mir kommt das einfach - es ist wie Atmen. Der Atem hat ja auch einen Rhythmus, der für mich typisch ist. Bei der Batik, den Bildern und ebenso wie ich bei der Skulptur ODU (Ifa/Ela Pietà) gesagt habe, kommt in mir und aus mir diese Aufwallung >des sich Darüberbeugens< das Erbarmen als religiöses Phänomen - das Erbarmen, das ein archaischer Altar ist. Und das ist eben bei mir der Schlüssel von allem: MEINE GÖTTER SIND EBEN ARM, sie sind bedrückt, verfolgt missverstanden und zerstört worden. Genau das ist ihre Größe und Weisheit, sie liegt im Überleben von all dem - und vielleicht ist so etwas sehr stark vorgeburtlich in mir - was du da ansprichst." Umgangssprachlich setzt sie im Bemühen ihre Arbeitsweise transparent darzustellen den Dialog fort: "Aber von mir wird das einfach weitergesponnen - ganz ohne Idee wie die Komposition sein muss."
"Am Schluss ist es total im Gleichgewicht - ich spür wo ich aus dem Rhythmus bin. Ich muss das dann sofort ausbessern, auch bei der Skulptur, da schlag ich dann was herunter. Wenn das sehr fest ist, an der richtigen >falschen< Stelle bricht es dann runter - wie das lebensmäßig schon so ist - gestern hab ich ein paar Brocken so ganz wild einfach runter geschlagen - wo ich gedacht hab,...das hab ich jetzt konstruiert - das ist alles ohne Zeit. Bei den Batiken - alle Batiken sind eigentlich eine Batik - ein Lebensbild das ich in mir herumtrag - ich richte den Fokus dann auf Einzelheiten oder auf das Ganze - es ist alles dasselbe. Es ist überhaupt alles Rhythmus…auch in der Physik ist alles Rhythmus! Darum sage ich zu den Leuten, die immer von >Fortschritt< und >Unterentwicklung< sprechen: ihr verbaut euch selbst die Wege zum Wissen, das euch der Kontakt zu den archaischen Kulturen bringen würde, die die Kraft hatten dieses Wissen zu behalten.